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Regula

Ich hatte in meinem Leben lange das Gefühl, falsch zu sein. Gerne möchte ich euch erzählen, wie ich ein Ja zu mir selbst fand und Gott mir gezeigt hat, welchen Wert ich in seinen Augen habe.

Schon immer hatte ich das Gefühl, irgendwie anders zu sein als andere. Ging ich mit meinen Freunden als Teenager in den Ausgang fühlte ich mich oft trotz grosser Masse einsam. Zudem wurde mir die Menge der Leute zu viel. Es war mir zu laut und ich fühlte mich überfordert von den vielen Eindrücken und Stimmungen.

Alle anderen schienen diese Probleme nicht zu haben. Ich empfand meine Andersartigkeit als etwas Schlechtes.

Ich hatte oft das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Da waren alle anderen, und dann war da noch ich, die irgendwie nicht dazu passte. In der Kirche habe ich bald einmal im Mentoring mitgeholfen. Dadurch machte ich eine Seelsorgeausbildung. Dort hörte ich davon, dass es hochsensible Menschen gibt. Ich bin eher vorsichtig im Umgang mit Diagnosen (obwohl Hochsensibilität keine Diagnose sondern ein Persönlichkeitsmerkmal ist). Ich möchte jemanden nicht nur auf seine Diagnose oder seine Merkmale reduzieren. Ich befürchte, dass man dadurch jemandem wie eine Glocke überstülpt und ihn nur darauf beschränkt. Trotzdem war es für mich eine Hilfe von der Hochsensibilität zu hören. Menschen mit Hochsensibilität nehmen Reize viel intensiver wahr als andere. Es ist, als ob hochsensiblen Menschen ein „Filter“ fehlt, der sie vor zu vielen Einflüssen schützt. Darin erkannte ich mich wieder. Bei mir zeigt sich dies darin, dass ich zum Beispiel an einem vollen Arbeitstag einfach nur funktioniere. Wenn ich dann Feierabend habe ist die Luft raus, wie bei einem Ballon. Dann geht gar nichts mehr. Wenn dann zuhause auch noch viel Betrieb ist, überfordert mich dies total. Ich komme an meine Grenzen. Auch ein Besuch in einem Einkaufszentrum ist für mich keine Erholung, sondern eine solche Überreizung, dass ich nach kurzer Zeit fix und fertig bin. Oft habe ich bei einer Sache sehr lange Energie, doch plötzlich ist diese wie auf einen Schlag weg, und ich komme innerlich nicht mehr zur Ruhe. Dann muss ich mir diese Ruhe geben. Auch in der Familie muss ich bei viel Betrieb das Zimmer verlassen und mich zurückziehen. Sonst werde ich wütend oder ziehe mich in mich selbst zurück und werde ganz still. Als ich in der Seelsorgeausbildung davon hörte, war dies ein Durchbruch in meiner Selbstannahme. Ich begann Bücher über das Thema zu lesen und verstand mich endlich selbst. Es half mir, zu wissen, dass es andere gibt, die auch so empfinden.

Mit mir war nichts falsch oder kaputt, ich nahm die Welt einfach anderes wahr als andere. Und dies war gut so!

Gott zeigte mir, dass er durch dieses Empfinden einen wahren Schatz in mich hineingelegt hat. Denn durch die Hochsensibilität nehme ich auch meine Mitmenschen viel bewusster wahr, ich kann mich gut in andere einfühlen und ich nehme Stimmungen und Unausgesprochenes wahr. Endlich konnte ich dies auch als Stärke und Gabe sehen. Endlich fand ich zu einem Ja zu dem, was ich bin und was mich ausmacht. Für mich ist es ein Spagat, zu akzeptieren, dass ich hochsensibel bin, ich aber trotzdem dazulernen darf und aus meinen Grenzen ausbrechen kann. Ich habe dies immer wieder so gelebt. Als ich noch nicht um die Hochsensibilität wusste, schaffte ich Dinge, die eigentlich gar nicht zu dem passen. Einmal ging ich ganz alleine mit unseren vier Kindern in einen Aquapark und es wurde mir nicht zu viel.

Ich möchte Dinge wagen und über mich selbst wachsen – mit Gottes Hilfe ist dies möglich. Trotzdem ist es eine Gratwanderung.

Ich habe gelernt, mich selbst anzunehmen und mit meinen Grenzen umzugehen. Ich habe gelernt, „Nein“ zu sagen. Ich darf zu mir stehen und ich muss mich nicht übergehen. Vor Kurzem sagte jemand zu mir, dass ich die „Stille, Zurückhaltende“ sei. Ich liess dies für mich nicht so stehen, weil ich mich weiterentwickeln kann und will, und dieser Satz eine falsche Festlegung über mir ist.

Immer mehr ruhe ich darin, dass Gott sein Ja zu mir hat. Gleichzeitig fordert er mich heraus, Dinge zu wagen und über mich selbst hinauszuwachsen. Ich will nicht müde werden, mich von ihm verändern zu lassen.

Ich will mich dabei aber auch nicht unter Druck setzen. In meiner Arbeit in der Spitex erlebe ich, wie Gott diesen Goldschatz, den er in mich gelegt hat braucht: Ich komme mit ganzem Herzen zu den Menschen, die ich besuche. Ich höre ihnen gerne zu und habe ein offenes Ohr für sie.

Manchmal wird es zur Last, so viele Geschichten und Schicksale zu hören. Da lerne ich, diese Lasten Gott abzugeben und bei ihm neue Kraft zu holen. Ich bin nur Werkzeug, ich bin nicht die „Lösungsbringerin“. Ich bin nicht Gott. Mittlerweile habe ich auch ein Ja dazu gefunden, dass mein Weg manchmal einsam ist. Ich werde nicht immer verstanden in meinem Empfinden und fühle mich dadurch einsam. Zudem muss ich mir Zeiten der Ruhe und der Erholung nehmen, damit es mir gut geht. Es ist nicht immer einfach, mich zurückziehen. Ich lerne mehr und mehr, diese Stille auszuhalten und als Kraftquelle zu sehen. Eine solche Quelle ist für mich das Alleinsein in der Natur. Oder ein Rückzugszimmer, das ich mir eingerichtet habe. Dort kann ich einfach mit Gott zusammen sein. Eigentlich bin ich ein „Machertyp“. Doch Gott ruft mich zu sich in die Ruhe. Auch in der aktuellen Situation mit dem Krieg in der Ukraine hatte ich den Drang, etwas zu tun. Dann sagte Gott zu mir: „Deine Aufgabe ist jetzt gerade das Beten und Einstehen für diese Situation. In meinen Augen ist dies genau so wertvoll wie praktische Hilfe. Komm du bei mir zur Ruhe.“

Mit meiner Geschichte möchte ich dazu ermutigen, dass wir uns annehmen wie wir sind, und darauf vertrauen, dass Gott mit uns seinen Weg geht. Er schafft es, Grenzen mit uns zu sprengen. Wir dürfen ein festes Ja zu uns selbst haben.

Heute weiss ich: Ich bin gut so, wie ich bin. Alles was Gott in mich hineingelegt, hat ist ein Geschenk.

Redaktorin: Mirjam