Viele Jahre meines Lebens wurde ich von intensiven Gefühlen begleitet: Wut, Angst bis hin zu Panikattacken, Trauer, Freude und Scham.
Ich hatte eine schöne und geborgene Kindheit. Sie wurde jedoch durch die Trennung und spätere Scheidung meiner Eltern getrübt, als ich ungefähr vier Jahre alt war. Meine Mutter war eine starke Frau. Sie musste es sein, denn sie zog mich, meine jüngere Schwester und meinen älteren Bruder weitgehend allein auf. Ihre Kraft und Hingabe bewunderte ich und konnte viel daraus für mein eigenes Leben mitnehmen. Für all das bin ich ihr unendlich dankbar.
Meine Mutter brachte uns in die Jungschar einer Freikirche, obwohl wir reformiert waren. Dort begegnete ich Gott. Ich schloss Freundschaften, die bis heute Bestand haben. Mit meiner Freundin besuchten wir als erste Besucher das ICF Emmental (die heutige HOPE & LIFE Church). Dort fand ich ein Zuhause und lernte meinen heutigen Ehemann kennen und lieben.
Ich war eine lebensfrohe Frau, die oft Tränen lachte. Freude und Humor waren und sind essenzielle Bestandteile meines Lebens. Doch es gab auch eine andere Seite: In meiner Teenagerzeit war ich oft wütend, manchmal ohne zu wissen, warum. Ich tobte und schrie, meine Schwester suchte Zuflucht bei unserer Großmutter, die oberhalb von uns wohnte. Auch ich zog mich oft zu ihr zurück, sie war eine meiner wichtigsten Bezugspersonen. Wut, Trauer, Angst und Scham begleiteten mich immer wieder, doch nach außen zeigte sich das vor allem in Sprachlosigkeit. Ich konnte mich in Gesellschaft nicht ausdrücken und empfand darüber noch mehr Wut. Auch in meiner Freundschaft und späteren Ehe mit meinem Mann war Sprachlosigkeit ein Thema. Wir mussten hart an unserer Beziehung arbeiten – und tun es noch heute. Das ist wichtig und gehört dazu.
Gott war immer da und verwandelte nach und nach meine Wut, Hilflosigkeit und Angst in Liebe und Frieden.
Dennoch brach das Thema immer wieder auf und forderte viel Energie. Es gab verzweifelte Zeiten, aber auch glückliche. Mein Mann und ich genossen unser Leben, feierten Partys mit Freunden und erlebten viele schöne Momente. Doch 2007 verstarb mein Bruder plötzlich an Herzversagen. Dieser Verlust hinterließ eine tiefe Lücke. Ich war dankbar, meine Schwester an meiner Seite zu haben, unsere Beziehung gewann an Tiefe. Auch meine Ehe wurde durch diesen Schlag gefestigt, doch meine Emotionen waren schwer zu sortieren.
Unsere wunderschöne Tochter wurde geboren. Das Leben überleben war nun die Devise! Es brachte mich an den Rand von allem. Schlaflosigkeit, Sprachlosigkeit, grosser Freude, Wut, Hilflosigkeit.
Unser wunderschöner Sohn wurde geboren. Wir waren schon etwas eingespielter und entspannter. Doch auch hier tobte und schrie ich! In der Schwangerschaft meines Sohnes brach ich mir den Fuss, weil ich aus lauter Verzweiflung in eine Wand trat. Rückblickend wünschte ich, ich hätte mir mehr Hilfe gesucht.
Mit einer Freundin sprach ich über die Einheit unter Christen und die Möglichkeit, durch Gebet zusammenzukommen. Unsere Männer schlossen sich uns an – so entstanden die Wurzeln des Gebetshauses Langnau. Doch auch hier war es für mich herausfordernd, da ich oft keine Worte für meine Gefühle fand. Es war fast ironisch, dass Gott mich dazu führte, den Bereich «Pray» der HOPE & LIFE Church zu leiten. Doch genau dort lernte ich, meine Gebete in Worte zu fassen.
Parallel dazu machte ich eine Weiterbildung zur Ausbildungsleitung in der Pflege. Ich lernte viel über Kommunikation und fand zunehmend meine Sprache. Gleichzeitig nahm meine Angst zu: An manchen Tagen konnte ich nicht einmal einkaufen gehen. Diese Einschränkungen begleiteten mich über Jahre.
Als mein Mann und ich ein Eheseminar besuchten, wurde dort ein Online-Kurs zum Thema Gefühle beworben. Mein Mann fotografierte den Slide – wieso wohl? Ich wollte eigentlich nicht teilnehmen, tat es dann doch. So begann meine Reise zu meinen Gefühlen. Ich erkannte ihre Kraft und lernte, authentischer zu mir selbst zu stehen. Nach und nach entstand eine Einheit zwischen dem, wer ich bin, und dem, wie ich mich nach außen zeige.
Das tägliche Suchen nach Gottes Nähe war essenziell.
Seelsorge, Gespräche mit meinem Mann und Freunden, Gottesdienste, Smallgroup-Treffen, meine Arbeit, Sport, bewusstes Atmen und eine Herzuntersuchung (aufgrund der Geschichte meines Bruders) waren wichtige Schritte in meinem Heilungsprozess. Allein wäre es kaum zu bewältigen gewesen. Doch wenn wir beginnen, macht Gott den Rest, davon bin ich überzeugt! Ich bin dankbar für diesen Weg und finde immer mehr Frieden und Freude.
Ich schreie und tobe noch manchmal. Doch ich erkenne zunehmend die Kraft in meiner Wut. Diese Energie kann Dinge verändern. Gott hat mich mit starken Gefühlen ausgestattet, und ich bin sicher: Selbst meine Angst wird eines Tages zu meiner Stärke. Ihre Kraft Seite bedeutet Abenteuer und Aufregung. Ich gehe über meine Grenzen hinaus, entdecke Fähigkeiten, die ich nie kannte, und lerne bedingungslose Liebe und Vertrauen. Es wäre schade, darauf zu verzichten – es würde mich Glück und Zufriedenheit kosten. Ich brauche Mut und die Bereitschaft, ins Unbekannte zu gehen.
Meine Beziehung zu meinem Vater, der einst eine enge Bezugsperson für mich war (wie ich aus den Tagebüchern meiner Mutter erfuhr), hat sich durch Vergebung und Beziehungsarbeit in Zufriedenheit gewandelt.
Ein Bild einer Freundin beschreibt mich treffend: Die intensiven Gefühle und Wahrnehmungen eines gefühlsstarken Menschen dringen ungefiltert in die Burg ein. Sie spazieren an den Wachposten vorbei und hinterlassen Chaos. Es gilt, sich immer weiter in der Abwehr zu verbessern. Zum Beispiel kann ich durch die Kraft der Wut meine Grenzen klar abstecken, Stellung beziehen und in eine Handlung übergehen, die sinnvoll ist.
„Vor allem aber behüte dein Herz, denn dein Herz beeinflusst dein ganzes Leben.“ (Sprüche 4,23)
Ein Vers, der mich seit meiner Jugend begleitet und mich bis heute prägt. Er beschreibt treffend, wie wichtig es ist, mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen.
