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Nadine

Ich heisse Nadine und bin in eine christliche Familie hineingeboren worden. Wir besuchten regelmässig die reformierte Landeskirche und ich ging später auch in die Jungschi. Ich durfte eine behütete und liebevolle Kindheit geniessen – bis zur Schulzeit. Im Kindergarten wurde ich das erste Mal gehänselt. Als dann ab der 1. Klasse auch nur noch ein anderes Mädchen mit mir in der Klasse war, spitzte sich die Situation immer mehr zu, bis ich schliesslich zum Mobbingopfer wurde. Gefühlt das ganze Schulhaus war gegen mich.

Ich war zu dünn, eine Brillenschlange, hatte eine Zahnspange, war nicht sonderlich gut im Sport. Als Teenie litt ich unter Akne und meine Oberweite war offenbar auch zu klein. Obendrauf gehörte ich zur „Fischli-Sekte“ und machte bei Trends, Partys und Mutproben nicht mit. Ich zog mich immer mehr zurück und war in Gruppen immer sehr unsicher. Ich hatte nur eine Handvoll Freunde. Jeder Blick, jedes Tuscheln und Kichern wertete ich gegen mich. Meine Freizeit habe ich hauptsächlich mit meinem Hund und bei meinem Pferd verbracht. Da durfte ich sein, wie ich bin. Erst in der Oberstufe hatte ich eine Freundin, die ebenfalls Christ war und für mich einstand.

Immer wieder kämpfte ich mit einer Ambivalenz. Ich wollte gerne dazugehören und versuchte mich dem Umfeld anzupassen, trotzdem hielt ich an meinen Überzeugungen fest. Ich wusste, dass ich besonders bin, und trotzdem wollte ich nicht anders als die anderen sein.

Mein Glaube gab mir in all dem die Kraft, mich und mein Aussehen zu akzeptieren. Auch meine Eltern vermittelten mir immer wieder, dass ich perfekt und wunderbar geschaffen bin und sie mich so lieben wie ich bin, dass ich mich nicht für andere ändern muss. Ich zweifelte nie am Glauben und Gottes Wort für mich, und trotzdem wurde mein Selbstwertgefühl kleiner.

Immer mehr begann ich meinen Freundeskreis ausserhalb der Schule und dem Dorf aufzubauen und gewann ein paar gute Freunde. Ich ging in Musical Camps, besuchte im Nachbardorf eine Jugendgruppe, und ging mit den neu gewonnen Freunden in Jugendgottesdienste. Die Predigten ermutigten mich, weiter am Glauben festzuhalten und mich so anzunehmen wie ich bin. Mein Selbstwertgefühl wurde wieder grösser und ich merkte, dass ich im christlichen Umfeld so angenommen werde, wie ich bin. Kritik, blöde Sprüche oder ein Lachen lösten nach wie vor ein Unwohlsein in mir aus und der Gedanke, was ich ändern könnte, beschäftigte mich länger, als es sollte.

Ich machte dann die Lehre zur Detailhandelsfachfrau. Dass ich da in einem „geschützten“, christlichen Rahmen war, tat mir gut und ich blühte auch im Umgang mit fremden Menschen mehr auf und war in meinem Tun selbstsicherer.

In meinem 3-monatigen Sprachaufenthalt in Amerika konnte ich weiter an mir arbeiten. Die offene Kultur und die Herausforderung, mich integrieren zu müssen, taten mir gut.

In der Zwischenzeit habe ich auch meinen jetzigen Mann kennengelernt. Die Tatsache, von einem Mann geliebt und angenommen zu werden, wie ich bin, hat mir ungemein geholfen, meinen Selbstwert aufzubauen.

Im Jahr 2012 habe ich die Ausbildung zur Sozialpädagogin begonnen.  Im ersten Ausbildungsjahr hatten wir viele Themen, die uns dazu aufforderten, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen. So konnte ich sehr viel aufarbeiten und verarbeiten. Auch die unzähligen Gespräche und Diskussionen mit meinen Studienkollegen haben mich ein bisschen mehr zu der Person gemacht, die ich jetzt bin.

Gott hat in meinem Leben und in mir viel bewirkt. Ich weiss nicht, wieso ich diesen schweren Weg gehen musste. Aber dass ich meinen Glauben und Gottes Liebe nie ernsthaft in Frage gestellt habe, zeigt mir, dass es Gottes Weg für mich war und ich weiter auf ihn zählen darf. In vertrauter Umgebung bin ich nicht mehr das zurückgezogene Mädchen und traue mich auch, meine Meinung zu äussern. Aber der Wunsch nach Anerkennung ist nach wie vor da. Ich bin bei Erstkontakten immer noch vorsichtig und versuche mich im ersten Augenblick meinem Gegenüber anzupassen. Besonders bei Personen, die ein selbstsicheres Auftreten haben, fühle ich mich unsicher und will nichts Falsches sagen oder machen. Ich mache mir nach wie vor zu viele Gedanken, was andere von mir denken. Ich will nicht (negativ) auffallen. Es gibt Phasen in meinem Leben, in denen ich mich in einzelnen Situationen auch ausgeschlossen fühle, obwohl es nicht so ist. Nach Auseinandersetzungen oder Meinungsverschiedenheiten suche ich den Fehler oft bei mir. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, dass ich nicht will, dass meine Kinder negativ auffallen. Was könnten die anderen Mütter auf dem Spielplatz von mir denken, oder was ist, wenn auch sie ausgegrenzt und gehänselt werden? Oftmals kann ich die Situationen aber gut reflektieren und die Gespräche mit meinem Mann oder mit guten Freunden helfen mir sehr, diese negativen Gedanken abzulegen und wieder die Wahrheit von Gott hervorzurufen.

Ich tanke immer wieder im Worship auf und die positiven Worte der Predigten tun mir gut. Mir helfen auch die „ICH-BIN-Worte“. An unserem Badezimmerspiegel steht zum Beispiel die Aussage „ich bin gewollt, wertvoll und wunderbar geschaffen, ein Meisterwerk Gottes“. Es hilft mir, mir dies täglich erneut bewusst zu machen. Ich bin sehr dankbar, dass ich Gottes Zuspruch tief in meinem Herzen verankert habe. So werden diese negativen Gedanken über mich auch weniger und sind nicht mehr so intensiv.