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Barbara

Scheu und introvertiert – so hiess es schon in meiner Kindheit immer wieder über mich. Insbesondere in der Schule machten mir meine zurückhaltende Art und die Mühe, mit anderen zu sprechen, immer wieder zu schaffen. Doch Gott tat ein Wunder und schenkte mir die Sprache.

Jetzt haut der mich doch tatsächlich gleich mit dem Französischbuch auf den Kopf! Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als der Lehrer mit erhobenem Buch neben mir stand, so als ob er mich damit gleich auf den Kopf schlagen wollte. „Bärble, sag endlich was!“, schimpfte er, nachdem er mich vergeblich aufgerufen hat, die Antwort auf eine Französischaufgabe zu geben. Und ich, ich sagte unter diesen Umständen natürlich sowieso nichts, auch wenn ich wusste, dass er mich nie schlagen würde. Trotzdem: diese Situation in der etwa zweiten Woche neu an der Oberstufe im Nachbardorf – neue Klasse, neues Schulhaus, neue Lehrpersonen – sehe ich heute noch vor mir, als wäre es gestern gewesen. Die Situation steht exemplarisch für meine Schulzeit.

Ich war immer ein stilles, zurückhaltendes Kind. Besonders in der Schule, wo ich mich nur selten freiwillig meldete und auch sonst nicht so viel sagte. Das blieb nicht ohne Folgen.

Bei jedem Elterngespräch heiss es, die Barbara ist so still, die sagt nie etwas. Meine Eltern waren mit ihrem Latein irgendwann auch am Ende. Denn zuhause redete ich viel und auch mit meinen Freundinnen war das absolut kein Problem. Nur in der Schule oder in grösseren Gruppen fand ich keine Worte.

Auch im Gymnasium ging es so weiter. Wenn es nicht sein musste, sagte ich wenig. Der grosse Nachteil daran ist aber, dass es so auch schwierig ist, Freundschaften zu knüpfen. Für die anderen war ich, weil ich nur wenig sagte, immer auch ein bisschen eine Aussenseiterin. Oder ein „Mysterium“, wie das Klassenkolleginnen einmal recht passend auf den Punkt brachten. Denn es war tatsächlich nicht so einfach, mit mir in Kontakt zu treten. Daher war für mich rückblickend vor allem die Jugendzeit nicht einfach. Ich hatte zwar meine besten Freudinnen aus der Kindheit, aber es entwickelten sich wenig neue Freundschaften, auch wenn ich mir das gewünscht habe.

Ich konnte einfach nicht über meinen Schatten springen und mich lauter, extrovertierter, interessanter geben, als ich mich gefühlt habe.

Ich war zwar nicht einsam, denn ich hatte gute Freundinnen und vor allem ein gutes familiäres Umfeld, das mich trug und wo ich freier war. Trotzdem fühlte ich mich in mir selbst, in meiner Zurückhaltung anderen gegenüber gefangen.

Diese Gedanken vertraute ich immer wieder auch Gott an. Denn, aufgewachsen in einem christlichen Elternhaus, begann ich schon früh, regelmässig in der Bibel zu lesen.

Ich kannte also den Gott der Wunder, meinen Schöpfer, der mich so gewollt und gemacht hatte, wie ich war. Trotzdem fand ich, dass er mich schon etwas weniger zurückhaltend hätte machen können…

Mit der Zeit lernte ich aber auch, mich meiner Introvertiertheit zu stellen. Muss man ja auch, denn es gibt immer wieder Situationen, in denen man ums Sprechen einfach nicht herum kommt. So zum Beispiel bei meinem mehrmonatigen Auslandaufenthalt in Russland. Um da neue Freundschaften zu schliessen, musste ich mich anderen gegenüber öffnen. Zudem war diese Zeit für mich prägend, weil ich mich da auch stark mit meinem Glauben auseinander gesetzt habe und darin gewachsen bin. Ich lernte dabei auch, dass es gar nicht so schwierig sein muss, auch Persönliches preiszugeben. Und so machte ich die Erfahrung, dass es nicht komisch ist, in der Gegenwart anderer etwas über sich selbst zu erzählen, und dass auch ich tatsächlich neue Freundschaften schliessen kann. Ich durfte entdecken, dass es andere Menschen interessiert, wer ich war und was ich erlebt habe. Und dafür bin ich Gott unendlich dankbar. Er zeigte mir, dass ich nicht einfach introvertiert geboren wurde, sondern dass ich auch lernen kann, aus mir heraus zu kommen und anderen Menschen zu vertrauen, auch wenn ich sie noch nicht gut kenne.

Heute wundere ich mich manchmal selbst über mich. Ich weiss nicht genau, wodurch diese „Sprachlosigkeit“ in der Kindheit und Jugend ausgelöst wurde. Ich habe auch heute noch keine „grosse Klappe“ und bin eher ruhig. Aber es fällt mir nicht mehr schwer, mit anderen Menschen – auch in neuen Gruppen – zu sprechen und von mir zu erzählen.

Das grösste Wunder am Ganzen ist aber eigentlich, dass ich heute sogar mein Geld mit Sprechen verdiene.

Ich rutschte – in meinen Augen per Zufall, in Gottes Augen sicher nach seinem Plan – in den Radiojournalismus und spreche heute regelmässig am Radio. Live, und ich weiss, dass mir da jeweils mehrere tausend Menschen zuhören.

Ich kann nur darüber staunen, dass ich, die früher kaum öffentlich ein Wort gesagt hat, nun genau damit meinen Lebensunterhalt verdiene. Dafür bin ich Gott unendlich dankbar und es bringt mich zum Staunen über die Wege, die er mit uns gehen kann. Ich denke, Gott selbst lächelt, wenn er diese meine staunenden Gedanken und Worte sieht. Und ich höre ihn sagen:

„Siehst du, ich habe dich schon gekannt, ehe ich dich im Mutterleib bildete, und ehe du geboren wurdest, habe ich dich erwählt (nach Jeremia 1,5). Ich wusste immer, dass du eine Sprache hast und du einmal sogar damit arbeiten wirst. Es hat nur etwas Geduld gebraucht.“

Interessanterweise fühlten sich ja auch Propheten wie eben Jeremia oder auch Mose nicht zum Sprechen berufen und Gott hat ihnen geholfen. So, wie er auch mir – und uns allen, wenn wir nur möchten – half und immer noch hilft, neue Fähigkeiten und Berufungen in mir zu erkennen.