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Dina

Im Dezember 2020 habe ich meinen Vater, nach einer langen und schweren Krankheit, in den letzten Stunden seines Lebens begleitet. Es ist eigentlich meine Leidenschaft, Menschen und deren Angehörige genau dann nochmals Fragen zu stellen, wenn alles andere keine Rolle mehr spielt. Bei meinem eigenen Vater jedoch fühlte es sich an, als würde ich nur noch wie ein Roboter funktionieren.

Alle meine fünf Geschwister waren da und meine Mutter mittendrin. Es war ein sehr kostbares und schönes Gefühl, zu wissen, dass wir füreinander da sind. Im gleichen Moment fühlte ich mich alleine und verloren. Die Atmung meines Vatis wurde zu einer sogenannten Cheyne-Stokes-Atmung oder anders gesagt Schnappatmung. Ich schaute meine Geschwister an und nickte nur, wohl wissend, was das bedeuten würde. 

„Wieso durfte er nicht auf der Erde gesund werden, wieso nicht?“ Ich habe Gott diese Frage so oft gestellt und war einfach so tief von ihm enttäuscht.  

Ich hatte mir so sehr ein Wunder gewünscht, oder einfach noch ein bisschen mehr Zeit mit meinem Vater. Er war für mich so ein Vorbild. Er hat immer auf alles verzichtet, damit es uns Kindern gut ging. Zum Beispiel hat er uns mit allen Mitteln einen so tollen Pool gebaut, obwohl unsere Familie in jenem Jahr die Finanzen dafür gar nicht hatte. Er hat für mich als Kind so oft ein Stück Himmel auf Erden geschaffen. Später dann, liebte er die Zeiten mit seinen Grosskindern. Er liebte es, mit ihnen Pferde zu stehlen und einfach auch mal unkonventionelle Dinge zu tun, die nicht alle machen. Er liebte das Leben und wollte mit meiner Mutter noch so viele Dinge erleben und entdecken. Ich hatte mir so sehr ein Wunder gewünscht, um endlich allen meinen zweifelnden Freunden zu erzählen, dass es Gott wirklich gibt. 

Es passierte das, was ich auf keinen Fall wollte: Mein Vater starb. Der Tag seiner Bestattung fühlte sich noch einmal so endgültig an.  

Es war eiskalt in der Kirche, aber es spielte mir keine Rolle, denn mein Herz fühlte sich genauso an und innerlich ließ ich Gott links liegen.

Ich ging viel joggen und versuchte, meine Grenzen zu spüren. Ich zeigte Gott innerlich, dass ich ihn nicht mehr brauche. Ich ließ ihn nur noch so viel mitreden, wie ich wollte. Den Rest hörte ich nicht. Ich war mit Gott zwar nicht auf Kriegsfuß, aber trotzdem fühlte sich unsere Beziehung nur noch lauwarm bis kalt an. Ich fühlte ihn oft nicht mehr und bestritt den Alltag so oft einfach alleine. 

Im Sommer 2023 entschied ich mich nach langem Ringen, das Bible College in unsrer Kirche zu besuchen. Ich kannte die Bibel schon recht gut. Ich bin damit aufgewachsen. Meine Hoffnung war, Gott so wieder etwas näher zu kommen. 

Ich hatte einfach einen Wunsch an Gott. Ich wünschte mir, von ihm abhängig zu werden. Ich wünschte mir, dass er mich neu definiert und mich neu formt in diesem Jahr.  

Ich hatte vieles gehört, gelernt und Neues aufgenommen. Trotzdem dachte ich immer wieder: „Und wo bist du, Gott?“ 

Im Herbst fühlte ich mich immer wieder krank und hatte einen unglaublich mühsamen Husten. Ich besorgte mir daher vom Hausarzt einen guten Spray zum Inhalieren. Der Husten ging weg, aber ich hatte nach einer Woche plötzlich eigenartige Sprachprobleme. Meine Zunge fühlte sich dicker und schwer an. Ich bin im Gesundheitswesen tätig und spulte für mich innerlich einige möglichen Ursachen ab und kam zum Schluss, dass es sich wahrscheinlich um einen Zungenpilz handelt. Also holte ich mir wieder das passende Medikament. Leider besserte sich dieser Zustand nicht, und mein Hausarzt meldete mich für weitere Untersuchungen an für eine Bildgebung vom Kopf. 

Am Sonntag vor der MRI-Besprechung sass ich in der Kirche und merkte mir den einen Satz:  

„Für Gott ist keine Herausforderung zu groß“.

Das waren meine letzten Gedanken, als ich die Kirche verließ. 

Es kam der Tag, an dem ich das Gespräch mit dem Hausarzt hatte. Ich verdrängte kreisende Gedanken, da ich wusste, dass es mich nur nervöser macht. Nach längerem Warten sagte mir der Arzt, dass es einen Moment dauern wird. Mein Herz stockte kurz, weil ich da schon dachte, dass dies nicht sehr positiv klingt. Nach dem gemeinsamen Anschauen der Bilder und diversen Erklärungen, welche ich kaum alle gehört habe, bekam ich die Diagnose MS.  

Ich ging mit einem leicht überhitzten und geröteten Kopf nach Hause. Ich fühlte aber keine Wut, und auch nicht das schmerzende Gefühl, wieder enttäuscht zu sein  Ich teilte alles mit meinem Mann und auch den Kindern. Wir klärten sie sehr schnell auf, dass diese Krankheit heute gut therapierbar sei. Ich konnte rasch mit einer ersten Kortison Therapie beginnen. Mein Mann unterstützte mich, wo er nur konnte. Schon nach der zweiten Kortison Infusion kam meine Sprache zurück.  

Ich fühlte mich unglaublich getragen in dieser Zeit. Ich habe innerlich gespürt, dass ich Gott brauche.  

Mein größter Wunsch ist es, die Kinder noch als Erwachsene zu erleben und meinen Job als Mutter noch zu beenden, bis sie selbstständig sind.  

In dieser Weihnachtszeit nach der Diagnose fühlte ich mich unglaublich ruhig und getragen wie nie zuvor. Wir erlebten als Familie eine der friedlichsten und schönsten Weihnachtszeit. Wir wussten, dass wir einander noch haben und genossen dies sehr. 

Gott hat mir von Anfang an ein unglaublich tragendes Gefühl geschenkt. Ich spürte, dass meine Smallgroup und eine ganze Kirche für mich da sind. 

Ich weiß, dass es noch Herausforderungen geben wird, aber keine wird für mich und meine Familie zu gross sein.  

Ich bin von Gott abhängig und weiß, dass ich im Himmel dann einen komplett gesunden Körper habe. Das Leben hier scheint für uns so groß, und doch sind wir hier nur kurz. Die Heimat kommt erst noch.

Ich versuche, den Tag mit Gott gemeinsam zu starten und gehe alles langsamer an. Die Therapien sind in vollem Gange. Ich weiß, dass Gott mich begleitet und mir alles vorbereitet. Ich bin unglaublich dankbar, einen so wundervollen Mann zu haben, der eine unglaubliche Geduld hat und eine wunderbare Familie. 

Ich bin glücklich, Gott wieder spüren zu dürfen und vor allem seine Gegenwart zu erleben. Ich habe mir Abhängigkeit gewünscht und habe sie bekommen. Manchmal kann Beten auch ganz schön gefährlich sein. Gott hat mich erhört, und ich spüre einen Frieden darin. Ich freue mich unglaublich auf den zweiten Teil des Colleges. 

Von Gott abhängig zu sein weckt und stärkt meinen Glauben an ihn. Ich werde nie wieder an seiner Existenz zweifeln.